Aus Bewohnern werden Mitarbeiter

So funktioniert Inklusion von Menschen mit Behinderung bei Wernigerodes größtem Sozialdienstleister

Wie Menschen mit Behinderung in ein Unternehmen integriert werden können, macht die Gemeinnützige Gesellschaft für Sozialeinrichtungen Wernigerode vor. Heimbewohner haben imArgenta-Wohnpark und im Seniorenzentrum Burgbreite echte Arbeitsplätze gefunden.

Den Argenta-Wohnpark in Hasserode kennt Marco Boeck inzwischen wie seine Westentasche. „Er ist unser Mädchen für alles“, scherzt seine Kollegin Sandra Boos. Unter ihrer Leitung kümmert sich der 47-jährige Bewohner einer Außengruppe des Plemnitzstifts für Menschen mit Handycap seit zwei Jahren um insgesamt neun Häuser samt Pflegeeinrichtungen der Gemeinnützigen Gesellschaft für Sozialeinrichtungen Wernigerode (GSW) der Anlage im Südwesten der bunten Stadt am Harz.
„Treppenflure, Fahrstühle, Parkplätze, Fenster, Keller – alles muss sauber gehalten werden“, erläutert Boeck. Durch Corona sei der Arbeitsaufwand noch gestiegen. „Und die Mieter im Wohnpark schauen genau hin, aber wir beide sind ein super Team“, betont seine 32-jährige Kollegin.

Dass das Duo für die GSW zusammenarbeiten kann, ist einer Novelle des Bundesteilhabegesetzes zu verdanken: Dank ihr können Betriebe Integrationsarbeitsplätze schaffen für Menschen mit Behinderung, die bislang in speziellen Werkstätten beschäftigt waren. So konnte die GSW Anfang Juni 2019 Boeck für die Hauswirtschaft im Wohnpark einstellen sowie einen taubstummen Mitarbeiter.

Anfängliche Unsicherheit überwunden

„Die Arbeitsplätze sind dauerhaft gefördert, so dass wir Begleitung und Anleitung sicherstellen können“, sagt Sandra Lewerenz. Wie die Geschäftsführerin der städtischen Tochtergesellschaft erläutert, sei dieser Schritt für beide Seiten „ein Experiment“ gewesen. „Wir haben gezielt nach jemandem gesucht, bei dem wir eine Erfolgschance für die Eingliederung sehen, waren aber auf Rückschläge gefasst“, sagt die Chefin des größten Pflegeanbieters in Wernigerode. Ihm sei der Schritt nach fast 30 Jahren in der Werkstatt der Lebenshilfe am Veckenstedter Weg ebenfalls nicht leicht gefallen, erwidert Boeck. „Da war schon Wehmut und Unsicherheit dabei.“ Doch inzwischen hätten ihn die finanziellen Vorteile und der Spaß an seinem täglichen Sechs-Stunden-Job überzeugt.

Bereits zwei Monate länger als er hat Sabine Schultz einen Integrationsarbeitsplatz beim Sozialdienstleister inne – in einer der beiden GSW-Zentralküchen, im Seniorenzentrum Burgbreite. „Sie war und ist unsere Pionierin“, ergänzt Lewerenz. Dabei sei Heimleiterin Janine Hahn zunächst skeptisch gewesen:
„Wir wussten anfangs nicht, wie die anderen Mitarbeiter reagieren – an dieser Stelle muss alles Hand in Hand funktionieren, es gibt einen gewissen Zeitdruck.“ Schließlich müssten in der Küche unter dem Bau mit Platz für 93 pflegebedürftige Menschen und acht altersgerechten Wohnungen täglich mehr als 200 warme Mahlzeiten zubereitet werden.

Weitere Bewerbungen willkommen

Doch nach mehr als zwei Jahren Erfahrung sagt Schultz:„Ich fühle mich wohl.“ Die 53-Jährige habe sich schon als Jugendliche „einen Job in der Küche gewünscht“. Nun zählen Gemüse waschen, Gurken und Tomaten schnippeln, abschmecken und Schnitten schmieren zu ihrem Alltag. Bevor sie in die Burgbreite zur GSW wechselte, war sie 17 Jahre lang in der Wäscherei der Lebenshilfe beschäftigt. Auch die Heimleiterin ist inzwischen überzeugt: „Sabine ist ein vollwertiges Teammitglied für uns“, sagt Hahne.

Deshalb sei die GSW an einer Fortsetzung und Ausweitung des Projekts interessiert, gibt Sandra Lewerenz die Perspektive vor. Sowohl Boeck als auch Schultz seien inzwischen fest eingestellt. „Wir sind dem Gesetzgeber dankbar, dass wir endlich diesen Freiraum bekommen“, ergänzt Matthias Liesegang. Der Leiter des Plemnitzstift-Wohnheims ist sich sicher: „Es gibt Menschen mit Behinderung in jeder Altersgruppe, für die der sogenannte Erste Arbeitsmarkt interessant ist – es muss nicht immer die Werkstatt sein.“ Für die Bewerbung gebe es vielfältige Hilfe, etwa von der Arbeitsagentur. Im Unternehmen berate ein Integrationsbeauftragter die Beschäftigten mit Handycap.

Quelle: Volksstimme | Text & Fotos: Holger Manigk