Demut und Dankbarkeit
Zu Beginn unserer Ausbildung werden wir oft gefragt „Warum möchtet ihr Ergotherapeuten werden?“. Die meisten Azubis antworten mit „Wir möchten Menschen helfen!“ Meine Ausbilderin hat damals angemerkt, das wäre Unsinn. Man würde Therapeut werden, um Geld zu verdienen. Natürlich- mit jedem Job verdient man Geld. Doch das ist nicht alles! Die Entscheidung, Therapeut zu werden, ist mehr als Geldsache.
In den letzten 18 Jahren meiner beruflichen Entwicklung habe ich das immer wieder gemerkt und bin nach wie vor stolz auf meine Arbeit. Doch wie sieht das im Alltag eigentlich aus?
Ich unterstütze jeden Tag in der GSW meine Patienten dabei, selbständig zu bleiben, Fähigkeiten und Fertigkeiten wiederzuerlangen und die ganz persönlichen Probleme eines jeden Einzelnen zu minimieren. Manchmal hilft es auch schon, den Patienten Kompensationsmöglichkeiten zu zeigen. Es gibt unzählige Hilfsmittel im Alltag und viele Tipps und Tricks, damit die ein oder andere Handlung noch selbst erledigt werden kann- egal ob es das zu fest zugeschraubte Marmeladenglas ist, das geöffnet werden soll, oder die Füße, die abgetrocknet werden müssen. Unser Repertoire ist groß.
Doch manchmal nehmen wir auch eine ganz andere Position ein im Leben unserer Patienten. Wir werden zu Wegbegleitern auf der letzten Etappe. Wir lindern, unterstützen, beraten, wenn klar wird, dass es keine andere Option mehr gibt. Dabei sind wir oft nicht nur Ansprechpartner für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihre Angehörigen. Diese Lebensphase wird von jedem unterschiedlich wahrgenommen- und auch angenommen. Unser Ziel im Team ist es, auch hier kompetent und mitfühlend zu agieren.
Ich musste in den vergangenen Wochen und Monaten von vielen Patienten Abschied nehmen. Oft verbinden uns jahrelange Zusammenarbeit, viele Therapieeinheiten, witzige und auch traurige Momente, Fortschritte, aber auch Stagnation.
Der letzte Gang ist auch für mich als Therapeutin nie leicht.
Die Angehörigen drücken häufig ein letztes Mal ihren Dank aus, kleine Anekdoten der gemeinsamen Zeit werden geteilt und es darf auch gemeinsam geweint werden.
An solchen Tagen fahre ich abends nach Hause- fahre durch die Stadt Wernigerode und vorbei an so vielen Häusern, die wir betreuen, seien es stationäre und ambulante Einrichtungen oder auch Privathaushalte, von denen die wenigsten wissen, was hinter der Tür für eine Geschichte wartet. Ich denke an unsere Patienten und ihre Angehörigen, die jeden Tag eine immense Leistung erbringen und sich nicht unterkriegen lassen, die allen Sorgen zum Trotz nicht aufgeben.
Ich werde in diesen Momenten demütig- und dankbar, denn ich weiß, was für ein Glück es ist, wenn man selbst und die eigene Familie gesund ist- oder, wenn es nötig ist und man doch krank wird, jeder von uns in guten Händen ist.
Darum bin ich Teil der GSW. Darum bin ich Therapeutin.
Ihre Linda Ikome