Technische Lösungen in der Pflege müssen selbsterklärend sein
Interview auf www.caretrialog.de mit Dr. Kerstin Lötzerich-Bernhard und Sandra Lewerenz
Schon heute fehlen in Deutschland 200.000 Fachkräfte in der Pflege, das spüren auch Senioren- und Pflegeeinrichtungen. Der demografische Wandel verschärft dieses Problem noch zusehends. Da sind Lösungen gefragt, um den Personalmangel ohne Qualitätsverlust in den Griff zu bekommen.
Welche Herausforderungen in Bezug auf den Fachkräftemangel und die Sicherstellung der Qualität wiegen in den Einrichtungen Ihres Unternehmens am schwersten?
Sandra Lewerenz:
Die Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen ist unter den jetzigen und wachsenden Umständen die schwersten Herausforderungen.
Das Leistungsrecht engt die Pflegeunternehmen in der stationären Pflege ein, um den Herausforderungen des Fachkräftemangels zu begegnen, ohne die Preise weiter in die Höhe zu treiben. Einen guten Qualitätsstandard erreichen wir durch den Einsatz eines multiprofessionellen Teams. Pflegekräfte, Therapeuten, Sozialpädagogen, Betreuungs- und Hauswirtschaftskräfte nehmen den Menschen in unseren Einrichtungen ganzheitlich wahr und setzen alles daran, die Bedürfnisse unserer Bewohnerinnen und Bewohner auch gerecht zu werden.
Wir nutzen das neue Personalbemessungsverfahren, um unsere Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und neu auszurichten. Durch vollumfassende Kompetenzgespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll im Ergebnis eine passgenaue Aufschlüsselung der Tätigkeiten entsprechend ihrer/seiner Qualifikation und Neigungen möglich sein. Wünsche der Bewohnerinnen und Bewohner können dann individueller umgesetzt werden. Damit wollen wir eine hohe Mitarbeitenden- und Kundenzufriedenheit erreichen. Die Einführung der stationären Tourenplanung mit MedifoxDAN wird diesen Prozess digitalisieren.
Bei der Erfassung körperlicher Parameter und Vitalzeichen kann der Einsatz verbesserter Technik mehr Sicherheit in der Anwendung gerade für die qualifizierten Pflegehelferinnen und -helfer bringen, die in der Pflege jetzt mehr Verantwortung bekommen.
Zur Unterstützung kommt seit vergangenem Jahr daher Livy Care in Einrichtungen Ihres Unternehmens zum Einsatz. Welche Produkte mit welchen Funktionen sind das ganz konkret?
Sandra Lewerenz: Während der Testphase waren zehn Sensoren im Einsatz: sechs in ausgesuchten Bewohnerzimmern und vier im Bereich der Ausgangstüren des Demenzbereiches. Erfasst wurden Sturzerkennung, das Verlassen des Zimmers oder Bereiches und die Inaktivität von Bewohnern.
Beschreiben Sie uns bitte Ihre Erfahrungen mit den Produkten von Livy Care. Was sind die ausgewiesenen Vorteile für das Pflegepersonal?
Sandra Lewerenz: Ausgewiesene Vorteile zeigen sich insbesondere bei Sturzereignissen und im Nachtdienst. Diese beiden für uns prägnanten Aspekte haben sich in der dreimonatigen Testphase bestätigt.
Nach einem Sturz erfolgte unmittelbar nach dem Ereignis eine Information an das Pflegepersonal, und somit ist ein schnelles Intervenieren möglich.
Livy Care bietet somit ein Gefühl von mehr Sicherheit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ein anderer hervorzuhebender Aspekt ist die Nutzung im Nachtdienst, der mit einer anderen personellen Besetzung als in Früh- oder Spätdiensten abgedeckt wird. Wenn ein Bewohner oder eine Bewohnerin den Wohnbereich verlassen möchte, wird hier ebenso eine Information ausgelöst oder aber auch, wenn er oder sie das Bett verlässt und dieses nach einem definiertem Zeitfenster nicht wieder aufsucht.
Hierzu ergänzt Amir Humanfar, Co-Founder/CMO, HUM Systems GmbH – Hersteller von Livy: Unsere Sensoren haben in der dreimonatigen Testphase beeindruckende Ergebnisse geliefert: Die Reaktionszeit auf Lauftendenzen und Stürze unserer Bewohner wurde auf unter 60 Sekunden reduziert. Die Rückmeldungen der Pflegefachkräfte waren ebenso ermutigend: Über 80 Prozent fühlten sich psychisch entlastet, und die einstimmige Zustimmung zum Einsatz des Systems spricht Bände. Diese Daten belegen nicht nur eine deutliche Steigerung der Sicherheit der Bewohner, sondern auch eine spürbare Entlastung und gesteigerte Akzeptanz seitens des Pflegeteams bei der GSW.
Wie reagieren die Pflegebedürftigen auf Livy Care bzw. wie gehen sie damit um?
Sandra Lewerenz: Livy Care wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern unterschiedlich wahrgenommen. Livy Care Sensoren fallen als solches optisch nicht auf, denn sie wirken eher elegant wie eine Wandleuchte, sodass der Sensor visuell unauffällig bleibt. Mit der Installation an der Decke bleibt er für Bewohner automatisch unerreichbar. Lediglich der Visite-Button wird von einzelnen Bewohnerinnen und Bewohnern vor Betreten oder Verlassen ihres Zimmers gedrückt, da er wie eine Haustürklingel aussieht.
Wie stehen Sie zum Einsatz von KI? Und in welchem Maße findet KI in Ihrer Geschäftsstrategie Berücksichtigung?
Sandra Lewerenz: Der Einsatz von KI wird die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege nicht ersetzen.
Doch die KI unterstützt die Pflege und Betreuung in der Sicherstellung des Versorgungsauftrages oder bei der Bewältigung der administrativen Tätigkeiten.
Schon bei der Planung der Pflege- und Betreuungsleistungen unterstützt das neue Dokumentationsprogramm MedifoxDAN, welches im hohen Maße auf eine moderne Pflege abgestimmt ist. Systemvoreinstellungen lassen kaum noch Fehler in der Planung oder Umsetzung zu, Kooperationspartner können über das System in die Versorgung einbezogen, Angehörige informiert werden. Die Dienstplangestaltung ist mit einer KI unterlegt und ermöglicht somit eine schnelleren ressourcenorientierten Mitarbeitereinsatz.
Die Anbindung an die Telematikinfrastruktur soll bis 2026 erfolgt sein.
Würden Sie Ihre Mitarbeitenden als technikaffin bezeichnen? Wie machen Sie Ihre Mitarbeitenden für den Einsatz digitaler Anwendungen und Produkte fit für die Zukunft?
Sandra Lewerenz: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflege sind eher nicht technikaffin. Daher muss diese möglichst selbsterklärend funktionieren. Wir sind schon heute digital mit der Dokumentation unterwegs.
Der Einsatz von Tablets und Smartphones ist zwischenzeitlich obligatorisch. Hilfsmittel für die Bewohner werden technisch immer komplexer.
Hier schulen insbesondere die Sanitätshäuser. Ansonsten schulen wir vor dem Einsatz der Produkte und bei deren Neuerungen. Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter sind uns sehr wichtig. Jährlich erfolgt die Aufstellung der Schulungspläne. Bedarfe und Wünsche finden Berücksichtigung. Momentan befinden wir uns in der Phase der Konfiguration und der Schulung für den Start mit MedifoxDAN.
Gibt es etwas, was aus Ihrer Sicht bei Livy-Care-Produkten-/Funktionen noch fehlt? Gibt es (Zusatz-)Funktionen/Produkte, die sich wünschen würden?
Sandra Lewerenz: Vorerst nicht, das ergibt sich vielleicht mit zunehmender Praxiserfahrung.
Wie gesagt, die stationäre Tourenplanung wird uns in den nächsten Monaten fordern. Nicht nur Pflegefachkräfte, auch Pflege- und Betreuungskräfte werden dann in die Nutzung der Tablets einbezogen.
Natürlich können und wollen wir Wohn- und Lebensräume Schritt für Schritt digitaler gestalten.
Hier gilt es aber, die Refinanzierung der Kosten zu klären.
Schon heute können unsere Bewohnerinnen und Bewohner aus eigenen Kräften die Pflege in einem Heim kaum noch aus Eigenmitteln finanzieren.
Besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
Quelle: Text & Foto by www.caretrialog.de